„An dieser Stelle, Tiergartenstraße 4, wurde ab 1940 der erste nationalsozialistische Massenmord organisiert – ‚Aktion T 4‘ genannt. Mehr als 200.000 wehrlose Menschen starben …
… durch Gas, durch Schlafmittel, durch geplanten Hunger. Ihr Leben wurde als lebensunwert bezeichnet, ihre Ermordung hieß Euthanasie. Die Täter waren Wissenschaftler, Ärzte, Pfleger, Beamte und Angestellte der Justiz, der Gesundheits- und Arbeitsverwaltungen. Die Opfer waren arm, verzweifelt, aufsässig oder hilfsbedürftig. Sie kamen aus psychiatrischen Kliniken, Altenheimen und Kinderkrankenhäusern, aus Lazaretten, Lagern und Fürsorgeanstalten. Die Zahl der Opfer ist groß, gering die Zahl der verurteilten Täter.“
Zitiert nach Götz Aly (Hrsg.): Aktion T4 1939-1945. Die „Euthanasie“-Zentrale in der Tiergartenstraße 4. Edition Hentrich, Berlin 1987, ISBN 3-926175-43-5
Dieses Buch erschien mit wesentlicher Unterstützung der Berliner Ärztekammer und des damaligen Präsidenten der Ärztekammer Dr. Ellis Huber.
1987 war die Bushaltestelle vor der Berliner Philharmonie ein leerer Platz,
gefüllt von Waschbetonplatten und Wendepätzen für Busse. Meine eigenen Anmerkungen kommen später. Zuerst zitiere ich zu diesem Ort aus dem Geleitwort der Berliner Ärztekammer aus dem Buch Aktion T4:
„Die Ärztekammer Berlin unterstützt den Versuch, einen nicht angenommenen und unsichtbaren Ort der Deutschen Geschichte in das öffentliche Bewusstsein zu rücken. Von der Tiergartenstraße 4 aus organisierten über 300 Beamte und Angestellte in den Jahren 1939 bis 1945 die Ermordung von vielen 10.000 Menschen, die krank oder unangepasst waren. Dies geschah unter der Leitung von Ärzten. Ärzte entwickelten die Auswahlkriterien, fertigten die Gutachten und organisierten im Verein mit der staatlichen Medizinalverwaltung die Deportationen. Es waren Ärzte mit zunächst scheinbar normalen Karrieren, die Gashähne in den Euthanasieanstalten öffneten und damit als ‚Spezialisten des Tötens‘ auch der fabrikmäßigen Ermordung der Juden in Treblinka und anderen KZ den Weg ebneten.“
… „Gerade die Auseinandersetzung mit der Rolle der Ärzte und ihrer Standesorganisationen im Nationalsozialismus und mit dem Leid der Verfolgten kann uns dabei helfen, humane Antworten für die heutigen Probleme zu finden; Denn die Verletzung ärztlich-ethischer Prinzipien ist eine ständige Gefahr, auch heute!“
Dieser Satz, 1987 geschrieben, könnte ohne die geringsten Abstriche auch unter einem Artikel des Jahres 2004 stehen. Die aktuelle und bis auf weiteres aktuell bleibende Diskussion über Gentechnologie und Biomedizin sorgt dafür.
T 4: Tiergartenstraße 4 in Berlin, 1940. Ein unscheinbares Amt, von dem aus die Ermordung von mehr als 200.000 Psychiatriepatienten, Krankenlagerinsassen, geistig behinderten Menschen, verzweifelten oder unangepassten Menschen organisiert wurde. Die Adresse gab diesem staatlich organisierten Töten den Decknamen „Aktion T 4“.
Das Gebäude, eine Stadtvilla mit Bürotrakt, war zuvor „arisiert“ worden, die Villa sowie die später errichteten Bürobaracken standen bis zur weitgehenden Zerstörung durch Bomben dort, wo heute die Bushaltestelle vor dem Haupteingang der Philharmonie ist.
Es führt zu weit, die einzelnen Schritte der „planwirtschaftliche Erfassung“ der Patienten aller Heil- und Pflegeanstalten, die Entwicklung der Fragebögen, Begutachtung, das Töten und die Vertuschungsversuche hier zu beschreiben. Dafür gibt es Literatur.
Ich möchte lieber einen Blick in das Jahr 2004 und auf das Denkmal, das auf Initiative der Ärztekammer und anderer Organisationen und Personen entstand, werfen.
Ist es Ihnen schon einmal aufgefallen, wenn Sie die Philharmonie besucht haben? Wie habe ich es wahrgenommen? Es wird von Autos zugeparkt, es ist auch für den Fussgänger kaum wahrnehmbar, es wird beschmutzt, beschmiert, übersehen.
Nicht weit entfernt entsteht ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas: Monumental, teuer und nicht zu übersehen. Ich sehe im T 4-Denkmal ein Symbol für das Vergessen behinderter Menschen, die als erste Personengruppe Opfer der Naziideologie wurde. Fast scheint mir, dass ein Denkmal das Vergessen fördern kann.
Vor mittlerweile fünf Jahren habe ich einen Brief an den Bezirksbürgermeister des Bezirkes Mitte geschrieben – im Auftrag des Aktionsbündnisses Blaues Kamel – in dem ich darum bat, zu überlegen, wie eine Pflege und idealerweise eine Sicht- und Wahrnehmungsverbesserung des Mahnmals möglich wäre. Ich habe nie eine Antwort erhalten.
Helmut Forner